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Name Judenburg

Der Name Judenburg

 

 

Was bedeutet der Name Judenburg? Diese oft gestellte Frage hat im Laufe der Geschichte zu vielen Deutungsversuchen geführt. So gab es gelehrte Versuche, den Namen Judenburg auf römische, sogar auf keltische Traditionen zurückzuführen oder mit dem Volk der Goten in Verbindung zu bringen.

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Doch ging es gar nicht immer nur um die Deutung; zuweilen war es der Name Judenburg selbst, der zum religiösen, ja sogar zum politischen Problem wurde. Die zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Judenburg angesiedelten Jesuiten etwa prägten den Begriff „Hebraeopolis“. Damit sollte die Notwendigkeit ihrer ganz in den Dienst der Gegenreformation gestellten Bemühungen unterstrichen werden, die Stadt Judenburg wieder in eine von Ketzern und Häretikern befreite „Wehrburg“ des christlichen Glaubens zu verwandeln.

Eine ähnliche missionarische Absicht verfolgten auch die Nationalsozialisten. Für sie stellte der Name Judenburg eine besondere Verlegenheit dar, war es doch ein zentraler Punkt ihrer Bestrebungen, alles Jüdische aus der Gesellschaft „auszumerzen“. Auch die geografische Namenwelt musste „judenrein“ sein. Die Stadt Judenburg sollte – so die Überlegungen der Nazis – fortan „Liechtenstein“ oder „Zirbitzburg“ heißen. Vorgeschlagen wurde, gleichsam als Reverenz an den „Führer“, auch der Name „Adolfburg“.

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Doch kehren wir zurück zur Deutung des Stadtnamens. Die letzte ausführliche Untersuchung zu dieser Frage hat der Judenburger Stadthistoriker Johann Andritsch vorgelegt, der den urkundlich erstmals im Jahr 1074 erwähnten Namen „Judinburch“ von einer als Stadtgründer angenommenen Person namens Liut(h)old (Koseform „Judo“) aus dem adeligen Geschlecht der in und um Judenburg reich begüterten Eppensteiner abzuleiten versuchte – eine Deutung, die bislang in Fachkreisen kaum Anerkennung gefunden hat.

Der Name Judenburg – und darin sind sich die meisten Historiker und Ortsnamenforscher einig – steht in einer ganz bestimmten Verbindung mit einer Reihe von Orten im Ostalpenraum, deren namengebender Bestandteil „Juden-“ lautet. Neben Judenburg finden sich nämlich, insbesondere an wichtigen mittelalterlichen Verkehrs- und Handelswegen, zahlreiche Orte mit diesem charakteristischen Namensbestandteil. Es seien hier nur die an oder nahe der so genannten Italien- oder Venedigerstraße gelegenen Judendörfer bei Villach, Maria Saal, Friesach, Neumarkt und Leoben erwähnt. Betrachtet man nun die Lage dieser und anderer Judenorte, so fällt auf, dass sie an ganz bestimmten, verkehrsgeografisch neuralgischen Punkten lagen, etwa an Straßenkreuzungen, an Flussübergängen, am Fuß von Passstraßen oder in unmittelbarer Nähe wirtschaftlicher Zentren.

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Das mittelalterliche Handelszentrum Judenburg, am Knotenpunkt wichtiger Straßen gelegen, fügt sich nahtlos in dieses ausgedehnte System der Judenorte ein, die in der Mehrzahl im 10., spätestens aber im 11. Jahrhundert gegründet worden sein dürften. Wie die meisten Judenorte entstand Judenburg also zu einer Zeit, als die Juden noch im Handel tätig waren, bevor sie in späterer Zeit in den Geldhandel abgedrängt wurden. Damit ist auch eine wesentliche Funktion dieser ostalpinen Judenorte angedeutet: Es waren nämlich Transport- und Versorgungsstützpunkte, die von jüdischen Händlern an wichtigen mittelalterlichen Handelswegen angelegt wurden. Diese Stützpunkte erst befähigten die jüdischen Händler und Kaufleute, die beträchtlichen Distanzen zwischen dem Mittelmeer- und dem Donauraum zu bewältigen. Judenburg war Teil dieser über das Land verteilten Stützpunkte.

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Dr. Michael Schiestl, Stadthistoriker Judenburg

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